Britische Liberale setzen auf erfahrenes Führungspersonal

International

Nachdem der erhoffte und fest eingeplante Wiederaufstieg der Liberalen bei den Unterhauswahlen im Juni ausgeblieben war, hatte der Parteivorsitzende Tim Farron seinen Rücktritt angekündigt. Die in ihn gesetzten Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Zwar holten die Liberalen in Summe vier Mandate mehr als 2015, doch damit liegen sie meilenweit von den 57 Sitzen entfernt, die sie bei der Unterhauswahl 2010 gewinnen konnten. Zudem ging das absolute Ergebnis sogar um 0,5 Prozentpunkte auf 7,4 Prozent zurück.

Und das, obwohl die Ausgangslage äußerst günstig schien. Farron hatte in der bei Liberalen verhassten liberal-konservativen Regierung von David Cameron nie ein Amt innegehabt. Somit schien ein glaubhafter Schnitt mit der belastenden jüngeren Geschichte möglich. Zudem fehlte den 48 Prozent der Brexit-Gegner ein klarer Fürsprecher, nachdem sich die Führungen der Konservativen und der Arbeiterpartei mit dem knappen Ergebnis arrangiert hatten, während in der Bevölkerung die Bedenken vor einem EU-Austritt stiegen.

Doch auch wenn der Erfolg an der Urne ausblieb, hat Farron die Partei stabilisiert. So stieg unter ihm die Zahl der Mitglieder von 60.000 auf über 100.000 an. Für eine Kampagnen-Partei wie die Liberalen ist das die Basis für zukünftigen Erfolg.

Als ob Rainer Brüderle auf Christian Lindner folgt

Dass nun ausgerechnet der 74-jährige Cable der richtige Mann an der Spitze der Liberalen ist, darf bezweifelt werden. Für die Liberal Democrats ist seine Ernennung ein Rückschritt, vergleichbar, als würde in Deutschland Rainer Brüderle auf Christian Lindner folgen.

So haben die Unsicherheiten, die mit der Volksabstimmung zugunsten des Brexit entstanden, nunmehr zu einer Veränderung an der Spitze der Parteien geführt. Während in Ländern wie Österreich und Frankreich aktuell dem politischen Jugendkult gefrönt wird, setzt sich in Großbritannien ein Alterungsprozess des politischen Spitzenpersonals fort, der bereits in den vergangenen Monaten beziehungsweise Jahren die großen Parteien ergriffen hat. Bei Labour folgte Jeremy Corbyn (68) auf Ed Miliband (48), bei den Tories Theresa May (61) auf David Cameron (51) und nun bei den Liberalen Vince Cable (74) auf Tim Farron (47). In politisch unsicheren Zeiten scheinen die Parteien ihrem älteren und erfahreneren Führungspersonal mehr zuzutrauen.

Dabei hätte es mit den ehemaligen Staatssekretären Jo Swinson und Ed Davey sowie dem ehemaligen Minister Alistair Carmichael veritable Alternativen gegeben. Doch alle drei teilten ihre Absage mit. Swinson begnügte sich mit dem Vizevorsitz, Carmichael mit dem Amt des Fraktionsgeschäftsführers. Davey verzichtete diesmal aus Rücksicht auf seine Familie. Wie Swinson ließ auch er jedoch eine spätere Kandidatur offen. Ihnen beiden gehört die Zukunft der Liberalen.

Kein Richtungsschwenk

Vorerst hält mit Cable ein regierungserfahrener Elder Statesman das Ruder in der Hand. Einen Richtungsschwenk wird es unter ihm nicht geben. Nach seiner Ernennung hat er sich klar dazu bekannt, alles zu unternehmen, um den Brexit zu stoppen. Wie sein Vorgänger, hat er sich somit deutlicher als jeder andere Spitzenpolitiker gegen die Abkehr von Europa ausgesprochen. Und auch wenn er als ehemaliger Wirtschaftsminister den Sparkurs der konservativ-liberalen Regierung weitestgehend mittrug, wird er die linksliberale Ausrichtung seiner Partei nicht in Frage stellen.

Denn die ursprünglich Heimat von Cable ist die Arbeiterpartei. In den siebziger Jahren saß er für die Labour Party im Stadtrat von Glasgow und hatte sich erfolglos um die Kandidatur für einen Parlamentssitz beworben. Anfang der achtziger Jahre trat er der Social Democratic Party bei, einer Abspaltung der Labour Party, die 1988 mit der Liberal Party fusionierte und das Fundament der heutigen Liberal Democrats bildet.

Progressive Allianzen werden möglich

In einem Punkt unterscheidet er sich jedoch deutlich von seinem Vorgänger. Anders als Farron ist er Befürworter einer progressiven Allianz, der sogenannten “Progressive Alliance”. Dahinter stecken lokale Bündnisse, um bei Wahlen Kandidaten der konservativen Tories  zu verhindern. Dies würde bedeuten, dass Parteien links der Mitte in aussichtsreichen Wahlkreisen zugunsten der anderen auf die Kandidatur verzichten. Während auch die Grünen zur Progressive Alliance gehören, würden hiervon insbesondere Labour im Norden und Liberale im Süden profitieren.

So bleibt auch die Parteipolitik in Großbritannien spannend. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass Cable trotz gegenteiliger Äußerungen mehr als ein Übergangskandidat ist. Sollte die Regierung May nicht vorher zerbrechen, wäre er bei der nächsten Parlamentswahl 79 Jahre alt. Trotz seiner fitten Erscheinung wäre er dann der falsche Kandidat für eine Kampagnen-Partei, die sich am Wiederaufstieg an der Urne versucht.