„Es ist eine Art ­Wettrüsten“

Interview

Herr Büchner, wie sieht ein typischer Tag im Job eines Regierungssprechers aus?

Wolfgang Büchner: Einen typischen Tag gibt es eigentlich nicht. Als stellvertretender Regierungssprecher hat man vielfältige Aufgaben. An Tagen mit der Regierungspressekonferenz beginnt der Tag sehr früh, um alle relevanten Informationen zu lesen. Es gibt hier im Amt eine gute Vorbereitung, frühmorgens wird ein Clipping erstellt, die sogenannte Kanzlermappe. Darüber hinaus liest man seine relevanten Websites, Zeitungen und Social-Media-Kanäle. Um 8:30 Uhr haben wir eine Morgenlage, dann telefoniert man mit dem Bundeskanzler und bereitet die Regierungspressekonferenz vor.

Und sonst?

Büchner: An anderen Tagen begleitet man den Kanzler zu Terminen oder kümmert sich im Amt um Projekte wie die Weiterentwicklung der Website oder das Thema Desinformation. Außerdem gibt es „Parteitage“, da Steffen Hebestreit, Christiane Hoffmann und ich auch in die Führungsgremien der Parteien eingebunden sind, die uns als Regierungssprecher nominiert haben. Besonders in Sitzungswochen sind Montag und Dienstag stark durch Parteiarbeit geprägt. Es gibt also gefühlt drei, vier verschiedene Aufgaben und wenig planbare Tage. Hier im Amt wissen wir meist erst donnerstags, wie die nächste Woche aussieht.

Wolfgang Büchner (57) ist seit Dezember 2021 stellvertretender Regierungssprecher und stell­vertretender Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundes­regierung. Der gebürtige Pfälzer studierte Politikwissenschaften in Heidelberg und Hamburg. Nach einer journalistischen Ausbildung arbeitete er als ­Korrespondent und Redakteur für AP, Reuters und „Financial Times Deutschland“. Von 2001 bis 2009 war Büchner geschäftsführender Redakteur und Chefredakteur von „Spiegel Online“, anschließend bis 2013 Chefredakteur der dpa. 2013/2014 leitete er die Redaktion des „Spiegel“. Nach Stationen als Geschäftsführer der „Blick“-Gruppe in Zürich und des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ in Hannover beriet Büchner ab 2019 die FDP in Kommunikationsfragen. Der vierfache Familienvater wurde vom „Medium Magazin“ zweimal zum „Chefredakteur des Jahres“ gekürt. 2014 erhielt er gemeinsam mit dem „Guardian“-Chefredakteur Alan Rusbridger den Sonderpreis des „European Press Prize“. (c) Sebastian Höhn
Wolfgang Büchner 57 ist seit Dezember 2021 stellvertretender Regierungssprecher und stell­vertretender Leiter des Presse und Informationsamtes der Bundes­regierung Der gebürtige Pfälzer studierte Politikwissenschaften in Heidelberg und Hamburg Nach einer journalistischen Ausbildung arbeitete er als ­Korrespondent und Redakteur für AP Reuters und Financial Times Deutschland Von 2001 bis 2009 war Büchner geschäftsführender Redakteur und Chefredakteur von Spiegel Online anschließend bis 2013 Chefredakteur der dpa 20132014 leitete er die Redaktion des Spiegel Nach Stationen als Geschäftsführer der Blick Gruppe in Zürich und des RedaktionsNetzwerks Deutschland in Hannover beriet Büchner ab 2019 die FDP in Kommunikationsfragen Der vierfache Familienvater wurde vom Medium Magazin zweimal zum Chefredakteur des Jahres gekürt 2014 erhielt er gemeinsam mit dem Guardian Chefredakteur Alan Rusbridger den Sonderpreis des European Press Prize c Sebastian Höhn

 

Sie sind von der FDP nominiert worden. Bevor Sie ins Bundespresseamt kamen, haben Sie die Liberalen kommu­nikativ-strategisch beraten. Haben Sie da schon einen Wandel in der politischen Kommunikation festgestellt?

Büchner: Ja, seit vielen Jahren gibt es einen Bedeutungsverlust bei Verlagsmedien und eine große Bedeutungszunahme der Social-Media-Kanäle. Donald Trump ist ein bekanntes Beispiel: Er gewann seine Wahl, indem er voll auf Twitter setzte und die Mainstream-Medien weitgehend ignorierte. Trump regierte quasi via Twitter – das heute X heißt. Nach einem G7-Treffen in Kanada erklärte er noch im Flieger per Twitter die Beschlüsse für unwirksam, nicht etwa in einem Interview oder einer Pressekonferenz. Das zeigt, wie dramatisch sich die Kommunikation verändert hat.

Wie bildet die Kanzlermappe diese Veränderungen ab?

Büchner: Viele Dinge, die in Social Media ihren Ursprung haben, finden Eingang in die traditionelle Berichterstattung. So bildet die Kanzlermappe auch Social-Media-Themen teilweise ab. Wir haben aber auch ein Social-Media-Monitoring. Morgens gibt es ein Briefing über die Themen, die auf den großen sozialen Plattformen und in politischen Blogs diskutiert werden. Wir achten dabei gerade auch auf kritische Stimmen zur Regierung.

Können Sie ein Beispiel für ein Thema nennen, das online aufgekommen ist und nicht ignoriert werden konnte?

Büchner: Es fällt mir schwer, spontan ein konkretes Beispiel zu nennen, aber solche Themen gibt es immer wieder. Unsere Morgenlage läuft so ab, dass die Referate des Bundespresseamts die Ressorts der Bundesregierung spiegeln. Sie antizipieren mögliche Fragen der Journalisten in der Bundespressekonferenz und stützen sich auf die klassische Berichterstattung. Damit uns nichts entgeht, gibt es das Social-Media-Monitoring. Ein Kollege oder eine Kollegin weist darauf hin, was aktuell online groß diskutiert wird. Manchmal bitte ich dann ein Referat, sich diesen Hinweis genauer anzusehen.

Sie haben erwähnt, dass der Wandel in der politischen Kommunikation schon lange bekannt ist. Warum sehen wir auf Plattformen wie Youtube und Tiktok eine Dominanz der AfD, während andere Parteien das verschlafen haben?

Büchner: Es gibt eine gemischte Antwort darauf. Erstens bevorzugen die Algorithmen der sozialen Medien emotionalen und polarisierenden Content, was Populisten in den sozialen Medien begünstigt. Zweitens müssen sich andere Parteien und öffentliche Institutionen ankreiden lassen, dass sie handwerklich oft nicht gut arbeiten. Kommunikation in sozialen Medien muss ein Schwerpunkt sein. Es gibt positive Beispiele, wie die Reichweite von Christian Lindner auf X. Aber Tiktok wurde von vielen Parteien lange ignoriert oder nicht verstanden. Gerade die Rechten waren geschickter darin, sich dieses Medium zunutze zu machen. Spätestens seit der bayerischen Landtagswahl 2023 ist aber jedem klar, dass dort ein erhebliches Mobilisierungspotenzial liegt, besonders bei jungen Leuten.

Wie muss die Bundesregierung dort kommunizieren? Sollte sie auch populistische Stilmittel nutzen?

Büchner: Mein Ansatz als Journalist und Sprecher war immer, an die Intelligenz und das Herz der Menschen zu appellieren, nicht an ihre niederen Instinkte. Das sollte auch die Grundlage der Kommunikation einer demokratischen Partei oder staatlichen Institution sein. Man darf sich nicht auf ein „Mudwrestling“ auf Tiktok einlassen. Wir sollten Hassrede und Volksverhetzung klar zurückweisen und Lügen entlarven. In der eigenen positiven Kommunikation sollten wir populistische Stilmittel nicht übernehmen, sondern cool bleiben und an die Intelligenz einer aufgeklärten Gesellschaft appellieren. Wenn wir uns auf das Niveau der Hetzer herablassen, haben wir als Demokraten nichts zu gewinnen.

Tiktok ist ein sehr personalisiertes Medium. Unternehmen nutzen oft Influencer. In der Politik ist das schwieriger, weil jeder MdB selbst eigentlich ein Influencer ist. Wie kann man das auflösen?

Büchner: Man sollte nicht ängstlich an dieses Thema herangehen. Spitzenpolitiker sind gute Kommunikatoren. In natürlichen Gesprächssituationen oder kurzen Reden können sie hervorragend funktionieren. Beispielsweise zeigt der Bundeskanzler in seinen Gesprächen mit Bürgern schlagfertige und emotionale Momente, die sich gut für Tiktok eignen. Es ist keine Raketenwissenschaft. Schauen Sie sich an, wie die AfD Tiktok nutzt: kurze Videos aus Bundestagsreden und Live-Videos. Das können alle Politiker. Man sollte klugen, vernünftigen Content bieten und nicht glauben, man sei auf Influencer angewiesen. Influencer sollten ihre Unabhängigkeit bewahren. Wir sollten offen für den Dialog mit ihnen sein, aber sie nicht als Instrumente betrachten.

Die Bundesregierung ist auch auf Mastodon aktiv und hat dort gerade einmal 30.000 Follower. Warum folgt die Regierung Millionen Menschen jetzt trotz Bedenken zu Tiktok, aber nicht zu Telegram? Dort spielt doch die Musik, gerade die der Verschwörungstheoretiker.

Büchner: Tiktok ist wegen seiner überragenden Reichweite von Bedeutung. Allerdings ist Tiktok hinsichtlich des Umgangs mit Hassrede ein schwieriges Medium und entfernt rechtswidrigen Content oft viel zu langsam. Trotzdem glaube ich, dass wir Social-Media-Plattformen nicht den Extremisten überlassen sollten. Wenn Plattformen dauerhaft rechtswidrig handeln, muss man ihre Zulassung hinterfragen, statt sie zu meiden. Tiktok, Youtube und auch Telegram sind für junge Leute die neuen Treffpunkte. Wenn wir dort nicht präsent sind, nehmen wir am öffentlichen Gespräch nicht teil.

Denken Sie, dass die Bundesregierung auch auf Telegram aktiv sein sollte?

Büchner: Da kann ich nicht für das Bundespresseamt sprechen, aber ich persönlich denke: ja! Auf Telegram findet man alles Mögliche, von Drogenmärkten bis zu Verschwörungstheorien. Aber wenn wir den Raum nur den Verschwörungstheoretikern überlassen, glauben die Leute, das sei die Realität. Das Bundesgesundheitsministerium hat während der Coronapandemie auch auf Telegram kommuniziert, weil dort Verschwörungstheorien so dominant waren. Dort sind alle Inhalte leicht teilbar. So kann jeder, der auf Verschwörungsirrsinn stößt sagen: Und jetzt schaut mal, was die Bundesregierung in ihrem Kanal dazu sagt.

Der DFB hat einen innovativen Weg gewählt, um seinen Kader für die Europameisterschaft bekannt zu machen: Nominierungen werden von Morgensendungen im Radio verkündet, oder auch im Netz. Erleben wir bald, wie ein Tiktok-Influencer ein exklusives Zitat auch von Olaf Scholz bekommt?

Büchner: Das weiß ich nicht. Ich glaube, das wird er auch nicht machen. Für zentrale regierungsamtliche Mitteilungen nutzt der Bundeskanzler weiterhin traditionelle Kanäle wie Pressekonferenzen. Es gibt zwar Beispiele, wo wir Regierungsbeschlüsse auf Tiktok erklären, aber zentrale Mitteilungen verbreiten wir nach wie vor auf klassischen Wegen.

Also keine Neuigkeiten zur Rente mit 63 von der Treppe des Regierungsfliegers?

Büchner: Nein, das glaube ich nicht. Es bleibt bei den etablierten Kommunikationskanälen für wichtige Mitteilungen.

In einigen Kanälen sind auch autoritäre Staaten sehr präsent und beeinflussen die deutsche Öffentlichkeit. Wie können wir uns gegen Desinformationskampagnen aus Russland, China oder Iran wehren?

Büchner: Das ist eine zentrale und schwierige Frage. Entscheidend dabei ist eine gute Koordination möglicher Reaktionen auf Desinformation innerhalb der Bundesregierung. Und eine dem Ereignis angemessene, schnelle Reaktion. Allerdings müssen die Ministerien nicht auf jeden Unfug reagieren. Manchmal gilt auch die Regel „Don’t feed the trolls“. Aber bei sicherheitsrelevanten Themen müssen wir schnell reagieren, sei es durch Debunking, Pressestatements oder juristisches Vorgehen. Wir sind auch im intensiven Austausch mit europäischen Partnern und der Europäischen Kommission. Die Herausforderung wird eher größer, besonders durch den Einsatz künstlicher Intelligenz. In Amerika wurden Millionen Biden-Anhänger mit Hilfe von KI mit der gefälschten aber täuschend echten Stimme des Präsidenten angerufen und aufgefordert, nicht wählen zu gehen. Früher hätte man dafür ein Callcenter gebraucht. Das ist eine Art Wettrüsten: Wir müssen besser im Abwehren und Aufdecken von Desinformation werden, während die andere Seite immer effizientere Mittel einsetzt.

Wie beschäftigt sich die Bundesregierung mit künstlicher Intelligenz?

Büchner: Wir prüfen die Möglichkeiten der KI innovationsfreundlich. Im Bundespresseamt haben wir mit Brainstorming in allen Abteilungen begonnen, um herauszufinden, wie wir KI einsetzen können, sei es bei der Vorbereitung von Sprechzetteln, Pressemitteilungen oder der Verbesserung der Kommunikation auf digitalen Kanälen. Persönlich nutze ich KI-Tools auf meinem privaten Handy, um herauszufinden, wie sie funktionieren und wie ich sie einsetzen kann. Auf dem Diensthandy habe ich keine KI-App, da fehlen noch die Zertifizierungen durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.

Wäre es eine gute Idee, eine staatliche Stelle für Medien-Fact-Checking zu haben?

Büchner: Das halte ich für keine gute Idee. Wenn ausländische Akteure gezielt Desinformation verbreiten, die die Bevölkerung verunsichern oder in Angst versetzen kann, müssen wir öffentlich reagieren und die Dinge richtigstellen. Das sollte aber die Ausnahme bleiben. Ein staatliches „Wahrheitsministerium“ passt nicht zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 147 – Thema: 25 Jahre Hauptstadtjournalismus. Das Heft können Sie hier bestellen.